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Eric Thomas Koerfer

Der Grüne Heinrich

Standbild «Der Grüne Heinrich»

Synopsis

In München herrscht Faschingszeit:

Der Grüne Heinrich, ein junger Schweizer Kunststudent, beobachtet jene Überschwenglichkeit sowohl mit Faszination, als auch mit Zurückhaltung. Inmitten des Stimmengewirrs trifft er auf seinen besten Freund, den holländischen Künstler Lys.

Die Verwirrung der vielen vorbeimarschierenden Masken ausnutzend, betrügt der Lebemann Lys seine Verlobte Agnes mit Rosalie, die den Fasching auf ihre Weise auskosten will. Zum Schutz stellt sich Heinrich vor Agnes, die den unverantwortungslosen Betrug ihres Verlobten mit Entsetzen mitanschauen muss. Durch eine zuerst noch unverständliche Erregung gepackt, fordert der Grüne Heinrich seinen Freund Lys zum Duell heraus...

Das Duell wird im Morgengrauen stattfinden.

In der Zwischenzeit erinnert sich der Grüne Heinrich an seine Jugendjahre in Zürich.

In Gedanken durchlebt er den frühen Tod seines Vaters auf der Jagd, ehe ihn die Melancholie seiner Mutter erdrückt.

In seiner kindlichen Unschuld war er in seine kleine Cousine Anna verliebt, die ihm in der Schule den ersten Kuss beschert hat. Aus gesundheitlichen Gründen aber zieht sie schon bald mit dem Onkel und ihrer Familie auf ihren Landsitz.

Eines schönen Tages macht eine wandernde Theatergruppe in der Nähe von Zürich halt und führt den «Faust» auf. Für die Zauberer-Szene wird dem neugierigen Grünen Heinrich kurzerhand ein Affenkostüm übergezogen. Hinter den Kulissen versteckt, beobachtet er die junge Schauspielerin Judith, welche die Rolle des Gretchens spielt und die von ihrem Mann hinter den Kulissen gezwungen wird, sich ihm zu ergeben. Nach der Vorstellung muss der verzweifelte Heinrich auf dem Podium verweilen – man hat ihm seine Kleider gestohlen.

Aus Mitleid kümmert sich Judith um ihn und nimmt ihn zu sich ins Bett, wo sie ihm das Schlafen an ihrer Seite erlaubt. Erschrocken und neugierig zugleich, entdeckt der Grüne Heinrich zum ersten Mal die magische Kraft der Erotik und der Sexualität.

Nackt flüchtet sich der Grüne Heinrich am nächsten Tag in die Arme seiner Mutter...

Während seiner Jugend übt sich der Grüne Heinrich als Maler in einer Kunstausbildung bei dem exzentrischen Lehrmeister Römer. Das baldige Abbrechen des Studiums hat mit der Sehnsucht nach Anna zu tun – aus der Sicht des Lehrmeisters eine unverzeihliche Einstellung. Der Grüne Heinrich verlässt Zürich und zieht zu seinem Onkel aufs Land. Zwischenzeitlich hat sich Anna in eine wunderschöne junge Frau verwandelt.

Auf den vielen gemeinsamen Ausritten entflammt sich ihre Liebe von neuem, als wären sie nie voneinander getrennt gewesen. Doch der Grüne Heinrich fühlt sich ebenso zu Judith, die er zufälligerweise wieder getroffen hat, hingezogen. Sie wohnt ganz in der Nähe, alleine und vom gesellschaftlichen Treiben völlig isoliert. Der Grüne Heinrich kann sich der Ausstrahlung jener anziehenden und verständnisvollen Liebesexpertin nicht entziehen.

Von diesem Augenblick an foltert ihn sein Gewissen. Er wird regelrecht zwischen den beiden Frauen zerrissen. Sein innerer Konflikt wird durch die schwere Krankheit Annas verstärkt.

Anna stirbt plötzlich. An ihrem Grab schwört der Grüne Heinrich ihr die ewige Treue.

Angewidert beobachtet er das Leichenmahl der Familie und der Dorfbewohner, welches sich schnell in eine unkontrollierte Sauferei verwandelt: Schmerz und Trauer weichen dem Platz der Trunkenheit und Schlemmerei und werden im Gesang und im Tanz völlig vernachlässigt.

Der Grüne Heinrich flüchtet sich zu Judith, begierig und verzweifelt zugleich; die beiden verbringen erneut eine gemeinsame Liebesnacht.

Danach verlässt er Judith, die ihrerseits ihrem lang ersehnten Wunsch nachkommt, nach Amerika auszuwandern. Der Grüne Heinrich reist nach München, um endlich wieder sein Studium aufzugreifen und um dort nach seiner Freiheit zu haschen.

Die Erinnerungen an seine Jugendzeit erklären dem Grünen Heinrich den Grund, warum er seinen Freund Lys so ungestüm zum Duell herausgefordert hat: den Betrug seines Freundes vor den Augen seiner Verlobten hat ihn an seinen eigenen Betrug an Anna erinnert.

Beim Morgengrauen findet das Duell statt.

Nach dem ersten Kreuzen der Klingen, scheint sich alles wieder zum Guten zu wenden; Lys scheint sich wieder einen üblen Scherz erlaubt erlaubt zu haben. Doch mit fester Entschlossenheit nimmt der Grüne Heinrich den Kampf gegen den körperlich weitaus überlegenen Lys nochmals auf.

Der Grüne Heinrich wird jedoch tödlich verwundet. In seinem Gesicht aber erscheint ein Ausdruck des Glücks und der unermesslichen Zufriedenheit: durch den Tod sieht sich der Grüne Heinrich endlich wieder mit seiner Anna vereinigt.

 

Pressestimmen

Setaufnahme «Der Grüne Heinrich»« Für Thomas Koerfer erschien es als künstlerisches Gebot, den Film verstehbar für jedermannn zu machen, so dass hinzu zum Schauen nicht noch das Wissen um Gottfried Kellers Roman und dessen Zeit nötig wäre.

Er hat das epische Gefüge des Romans umgekrempelt in einen Stoff von höchster dramatischer Intensität...

...es ist die Montage, die, beflügelt durch die Musik, das Drama vom Grünen Heinrich in seiner Art zu einer optisch überquellenden Oper macht. Das ist ein Glück. »

Dr. Martin Schlappner

 

Thomas Koerfer und sein Drehbuchautor, der ungarische Schriftsteller Peter Müller, haben die beiden Frauen, die Schauspielerin und Judith, in eine einzige Gestalt verschmolzen. Ein Vorgang, den als willkürlich bezeichnen wird, wer für eine Adaptierung von Kellers «Der Grüne Heinrich» ein werkgetreues Festhalten am Text fordert. Doch Werktreue ist bei einem so grossen und verzweigten Romanwerk, das so beglückend wie manchmal auch langatmig ist, nicht möglich. Sollte man deshalb die Finger von ihm lassen?

Wird man nun Thomas Koerfer, der radikal einen anderen Weg geht, mit dem Vorwurf eindecken müssen, er habe nicht zu dem gleichen Respekt gefunden, von dem seine Vorgänger sich hatten leiten lassen?

Der Vorwurf wäre höchst ungerecht, und das nicht nur, weil Thomas Koerfer – der mit der Adaptierung von Robert Walsers «Der Gehülfe» bewiesen hat, wie sensibel und dennoch frei er einem literarischen Text von Rang zu begegnen imstande ist – über lange Jahre mit dem Stoff Gottfried Kellers umgegangen ist.

Auf mehr als fünf Jahre reicht seine Bemühung zurück: Mit Dieter Feldhausen, der als Autor schon am «Gehülfen» beteiligt gewesen war, hatte er ein erstes Mal einen Ansatz gesucht, damals überzeugt, es sei der Stoff im «Alemannischen» zu gründen, vielleicht sogar in der Mundart zu verwurzeln.

Thomas Hürlimann befand sich an seiner Seite, als Koerfer später einen weiteren Entwurf in Arbeit nahm. Das Drehbuch entwickelte sich, wie ein Kaleidoskop um Gottfried Keller, den «Grünen Heinrich» und das neunzehnte Jahrhundert aufgebaut, zum einen zu Bildwelten, wie sie über das vergangene Jahrhundert aussagekräftiger nicht hätten entworfen werden können, liess zum anderen aber die Hauptfigur in einer seltsamen Unverbindlichkeit zurück.

Ratlosigkeit darüber, wie vorzugehen wäre, liess den Stoff ruhen, bis sich mit dem Drehbuchautor Peter Müller ein Mitarbeiter fand, dessen Verhältnis zu Gottfried Keller unbelastet war und mit dem zusammen der dramaturgische Durchbruch endlich gelang. Peter Müller, der unter dem Titel «Drahtseilbahn» eine in einem Sanatorium in den Bergen situierte Todesgeschichte eines alternden Mannes geschrieben hatte, war tief in die Berührungsatmosphäre von Eros und Tod eingedrungen und war eben dieser Begabung von Luchino Visconti in das Team aufgenommen worden, das am Drehbuch zu dessen – nicht mehr realisierter – Adaption von Marcel Prousts «A la recherche du temps perdu» arbeitete.

«Der Grüne Heinrich», so entwickelte sich die dramaturgische Lösung nunmehr, durfte keinen Film abgeben, der, bildungsbürgerlich gesättigt und deshalb nur eingeschränkt verstehbar, zum Schauen hinzu das Wissen um den Roman und dessen Zeit verlangt hätte. Ins Zentrum rückte nun die Liebesgeschichte von Heinrich zwischen Anna und Judith, wobei vielfältig, doch konzentrierend auf den in der ersten Fassung des «Grünen Heinrich» ausgebreiteten Teil «Eine Jugendgeschichte» zurückgegriffen wurde. Diese «Jugendgeschichte» entfaltet sich im Film in Szenen einer zusammenhängenden Rückblende, zu welcher den Rahmen der Fasching in München, der «Kunststadt», abgibt und deren Abschluss Heinrichs Tod bildet.

Nun stirbt Heinrich im Film allerdings nicht als der arme, mit seinem Kunstsinnen gescheiterte Heimkehrer, der sich am Grabe seiner Mutter der Scham, ein an ihr schuldig gewordener Sohn zu sein, überlässt. Heinrich findet den Tod, genauer: er beruft ihn, in einer Szene, die Gottfried Keller zwar im Roman niedergeschrieben hat, bei welcher er indessen nicht an den Tod seines Helden gedacht hat. Es ist das die Fechtszene zwischen Heinrich und Ferdinand Lys, seinem Künstlerfreund; im Film wird sie nun ein Duell auf Leben und Tod tatsächlich. Hier nämlich fordert Heinrich seinen Tod heraus, im Bewusstsein seiner Schuld gegenüber Anna, die er verraten hat und nach deren Tod es ihm auch weiterhin nicht gelang, sich auf eine Liebe festzulegen.

Es ist dieser Heinrich also ein anderer junger Mann als der, welcher im Roman sich nie gefühlsmässig binden lässt. Thomas Koerfer und Peter Müller fällen einen Liebesentscheid, den der Heinrich des Romans zu fällen den Mut nicht aufbringt. Damit die Liebesgeschichte von Heinrich zwischen Anna und Judith konzentrierter wirkt, werden die beiden grossen Frauengestalten schon in der Kindheit als Mädchen und – wie eingangs erwähnt – als junge Frau eingeführt.

Im Tode ist Heinrich, und dieses Mal endgültig, mit Anna vereinigt; Thomas Koerfer, der höchsten Schwierigkeit sich bewusst, welche die Realisierung dieser Vision darstellen wird, erspürt in dieser Vereinigung ein Motiv, das er im Werk Kellers als entscheidend betrachtet, micht einzig, jedoch vor allem in der Novelle «Romeo und Julia auf dem Dorfe».

Internationale Gelder, Drehorte und Besetzung

Die szenische Ausstattung ist dank der Vielfalt der Schauplätze, vor allem der Interieurs, aufwendig, Ihr Aufbau bedingt die Nutzung eines Studios. Dieses steht in Bochum; schliesslich ist Nordrhein-Westfahlens Filmförderung namhaft an dem Projekt beteiligt. Insgesamt ist «Der Grüne Heinrich» eine Gemeinschaftsproduktion der Schweiz mit Deutschland und Frankreich; ausführende Produktionsgesellschaft sind die Condor Productions in Zürich. Die Herstellungskosten belaufen sich auf runde neun Millionen Franken.

Keiner der Drehplätze, die es für die landschaftliche und urbane Situierung der Szenen braucht, konnte an den wirklichen Orten stichhaltig ausfindig gemacht werden: München findet nun in Potsdam statt (und das nicht etwa deshalb nur, weil das Filmbüro Brandenburg an dem Projekt beteiligt ist). Und nicht etwa aus dem Grunde, dass Stadt und Kanton Zürich sich unverständlicherweise geweigert haben, den Film mit Förderungsgeldern zu unterstützen, dient als Schauplatz für die Altstadt Zürich das «Quartier bas» von Freiburg im Üchtland – die renovatorische Altertümelei von Zürichs Altstadt würde im Film sich zu geschleckt ausnehmen. Und Judiths Haus steht auf dem Ballenberg, im Freilichtmuseum; es ist das «Adelbodenerhaus», ein zwar ganz und gar anderer Wohnhaustyp als der im zürcherischen Unterland gewohnte; dennoch stimmig, so wie seine Laube und seine Stiege, seine nahe Umgebung mit steilem Bergweg und dämmeriger Waldschneise zur Situierung der Begegnung Heinrichs mit Judith atmosphärisch gebraucht werden.

Assumpta Serna, als eine von Spaniens «besten Schauspielerinnen» gefeiert, ist jene Judith zwar nicht, welcher Gottfried Keller «grosse braune Augen» und einen «Mund mit dem vollen üppigen Kinn» andichtete. Ihr Haar ist nicht schwer und dunkel, sondern rötlich; verklärt wie der Dichter das sich wünschte, ist allerdings ihre Schönheit. Den dicken Oheim spielt Mathias Gnädinger, und im Heinrich des Thibault de Montalembert paart sich jugendliche Eleganz der Erscheinung mit romantischer Sensibilität des Gesichts.

Thomas Koerfer ist ein Filmemacher, der stille Autorität ausstrahlt. Von ihr ist die Equipe der Techniker ebenso geprägt wie die Offenheit der Schauspieler, die – an diesem Drehtag auf dem Ballenberg – seinen Weisungen mit Geduld in die subtilsten Nuancen folgen, so zahlreich die Wiederholungen der einzelnen Einstellungen, so zahlreich diese Einstellungen selbst sind – von der Totale bis zu Halbnah und Nah und hinein ins genaueste Detail. Thomas Koerfer äufnet Bildmaterial für jegliche mögliche Subtilität des Schnittes. Das verlangt Dauer und Ausdauer, und jeder gleicht sich dieser Anforderung an, voran gibt das gute Beispiel Gerard Vandenberg, der Kameramann, der zuletzt für Edgar Reitz die Bilder für dessen «Die zweite Heimat» bereitgestellt hat – ein Meister des intensiven, szenisch stets entschiedenen, atmosphärisch stets stimmigen Bildes.

NZZ, Martin Schlappner (23. Oktober, 1992)

Setaufnahme «Der Grüne Heinrich»

Darsteller

Grüner Heinrich Thibault de Montalembert
junger Grüner Heinrich Andreas Schmid
Anna Florence Darel
junge Anna Anna Scheschonk
Judith Assumpta Serna
Onkel Mathias Gnädinger
Mama Rosa Christine Schom
Lys Arno Chevrier
Römer Heribert Sasse
Rosalie Susanne Bentzien
Agnes Nadja Uhl
Mephisto Ronald Nitschke
Lehrer Paul Burian
Mutter Dominique Sanda

Film-Equipe

Drehbuch Peter Müller, Thomas Koerfer, Barbara Jago
Kamera Gerard Vandenberg
Set Ausstattung Jan Schlubach, Rainer Schapper
Maske Gerlinde Kunz, Klaus Friedrich
Kostüme Monika Jacobs
Ton Johnny Dubach, Jean-Paul Loublier
Original Musik Bruno Coulais
Schnitt Marie-Josephe Yoyotte
Ausführender Produzent Peter-Christian Fueter, Peter Reichenbach
Delegierter Produzent Frankreich Xavier Larere
Delegierter Produzent Deutschland Karl H. Menzinger
Produktionsleiter Günther Russ Bup, Edi Hubschmid
Produktionsberater Kai May, Ingrid Windisch
Produktion Condor Films, Zürich
Koproduktion Toro Filmgesellschaft, Berlin
Osby Films, Groupe Expand, Paris
SRG, ZDF, ORF
Koproduktion der Schweiz und Frankreich

 

Regie Thomas Koerfer

 

Format 35mm; Farbe; 1: 1,85
Version Deutsch / Französisch
Dauer 110 min
Uraufführung sept.93
Gattung Literaturverfilmung
Verleih Schweiz Monopole Pathé
Weltrechte Condor Films

DVD

In der "Thomas Koerfer Edition" DVD Box erhältlich.

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